Jakobs Traum

Treppen
Türme
Relief

Einzelausstellung Kunstmuseum Bern 1984

Einführungstext aus dem Katalog

KONRAD VETTER

Konrad Vetter, 1982 60 Jahre alt geworden, arbeitet seit 40 Jahren als Glasmaler und hat unzählige alte Glasfenster instandgesetzt und zahlreiche Entwürfe anderer Künstler in Glasmalerei umgesetzt. In aller Stille ist aber in seinemAtelier ein eigenes plastisch-architektonisches Oeuvre entstanden. Nur eine einzige Episode in der künstlerischen
Laufbahn Konrad Vetters hat bisher in der Oeffentlichkeit zu reden gegeben: Die Zeit, da er zu Beginn der 1970er Jahre als Mitglied der „Arbeits-ganeinschaft Franz Eggenschwiler, Peter Meier, Konrad Vetter, Robert Wälti“ an – heute legendär gewordenen – Ausstellungen im Haus van der Grinten in Kranenburg, im Kunstmuseum Basel, im Kunstmuseum Luzern teilnahm.
In seiner Kunst hat sich Konrad Vetter dem Material Glas und der architektonischen Form rechtwinkliger, bzw.geometrisch einfacher Strukturen verschrieben. Glas: das Material, mit dem gotische Kathedralen mit einem überirdischen Licht erfüllt wurden; Glas, im Mittelalter Symbol für Reinheit; Glas, so hart, dass nur der Diamant es schneidet, und gleichzeitig das durchsichtigste aller Materialien. Gläserne Architektur: eine Vorstellung zeitgenössischer Bauten und zugleich eine Vision des „Hinrolischen Jerusalem“, das in der Vision des Johannes von lauterm Golde erbaut war, „gleich dem reinen Glase“.
1955 hatte Vetter begonnen, Scheiben zu gestalten, in denen die Bleiruten einfache geradlinige Strukturen in den Raum zeichneten. Er fügte allmählich schwarzes oder farbiges Glas hinzu, sowie gekrümmte, der heraldischen Form des „Fehs“ entlehnte Linien. Zu Beginn der 1960er Jahre begann er dreidimensionale Modelle architektonischer Utopien zu entwickeln. Er beschäftigte sich anfänglich mit dam Kubus, indem er farbige Glasplatten ineinander fügte. Die Mystik, die dem Glase und der geometrischen Form innewohnt, und die religiöse Grundhaltung Vetters führten jedoch bald zu einem tiefen Anliegen, in dem Vision, Traum und architektonisches Formgefühl zu einer einzigartigen Einheit verschmolzen: der Darstellung des Jakobstraums.
Aus dem Bibeltext geht hervor, dass mit der Leiter, auf der in Jakobs Traum Engel auf- und niedersteigen, der Weg aus der menschlichen Seele in die Unendlichkeit gemeint ist, der zugleich der Weg aus der Unendlichkeit in die menschliche Seele ist. Das Glas, das sowohl hartes „irdisches“ Material, als auch durch seine optisch strukturlose Transparenz den Begriff der Transzendenz beschwört, mag als Quell der Inspiration sowohl am Ursprung von Vetters „Jakobsträumen“ stehen, als auch wiederum am Ende als realisierte Form. Vetters Treppen sind eigene gläserne Architekturen oder aber verlieren sich in der unendlichen Zahl von Stäben und Schnüren. Die Treppen beginnen an einem Orte Irgend und enden an einem Orte Nirgend. Sie wirken wie ein Ausschnitt aus einem ewigen Rhythmus von Auf- und Niedersteigen. Den Eindruck der Unendlichkeit, der in diesen „Jakobsleitern“ entsteht, erzeugen auch die Reliefs und Bodenplastiken, in denen sich gläserne Schichten im Dämmer ihrer Transparenz verlieren oder durch Spiegelung endlose Raumfluchten vortäuschen.
Das Erstaunliche an dieser Evokation des unendlichen Raumes und der Bewegungsströme darin besteht in der Rationalität der Mittel. Die Stäbe, bzw. Schnüre, in denen die Treppen befestigt sind, sind nach strengen Rastern angeordnet, und die Treppen sind so exakt konstruiert, dass sie jeder Baumeister nachbauen könnte. Die Reliefs und Bodenplastiken sind nach einfachen geometrischen Grundformen, oft Rhomben, gegliedert. Auch die Zeichnungen bestehen aus einfachen Strukturen, die die Fläche schematisch einteilen wie einen auf zwei Dimensionen reduzierten, wabenartig organisierten Raum. So wie die Skulpturen Modellcharakter haben, so wirken viele Zeichnungen wie Pläne oder Planskizzen und werden auch als solche für die Skulpturen verwendet.
Ratio und Mysterium gehen im Werk Vetters eine einzigartige, überzeugende Verbindung ein. Ohne Anregungen aus dem Kubismus und der konstruktiven Kunst wohl kaum denkbar, ist diese Verbindung im Streben nach derSichtbarmachung der Vision einer kosmischen Ordnung und zugleich der Ahnung des Weltgeheimnisses zeitlos.

Hans Christoph von Tavel